Christina Kubisch

Die Idee der Kunstsynthese

Helga de la Motte-Haber



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"DAY AND NIGHT"
Installation in "De Vleeshal",
Middelburg, NL 1993



Christina Kubisch besitzt eine Doppelausbildung als Bildende Künstlerin (Bremen, Stuttgart) und Musikerin (Hamburg, Zürich, Mailand). Die Verbindung von Optischem und Akustischem prägte alle ihre Arbeiten, wie unterschiedlich sie auch sein mögen. Der Schwerpunkt ihres Schaffens lag zunächst im Bereich der Musik. Jedoch spielte bereits bei einer ihrer ersten Kompositionen "Language in Progress" (1974) der Raum eine große Rolle. Bei diesem für 16 Stimmen a cappella konzipierten Stück hatten sich die Sänger in vier Gruppen um das Publikum herum aufzustellen. In den zahlreichen Performances der 70er Jahre (einige zusammen mit dem Videokünstler Fabrizio Plessi) waren oft räumliche Aspekte oder auch die Bewegung des Publikums im Raum ebenso wichtig wie die ungewöhnlichen Klänge. Christina Kubisch trat in dieser Zeit als Interpretin ihrer eigenen Stücke auf. In "Emergency Solos" (1975) spielte sie in verschiedenen Variationen die Flöte unter anderem mit Fingerhüten, Pelzhandschuhen, Gasmaske oder nur mit dem Mundstück.

In diesen frühen Arbeiten wird vom Zusammenhang zwischen Sichtbarem und Hörbarem ausgegangen. Die Zuordnung zu einer Kunstgattung ist für diese visuelle Musik aufgelöst. Sie entwickelte sich an den Rändern der Instrumentalmusik zum Musiktheater. Zugleich wurde auch von den technischen Neuerungen Besitz ergriffen, um diese künstlerisch zu erforschen. Ein Aufbruch aus dem erstarrten Kunstbetrieb wurde signalisiert. Inhärent ist diesen Arbeiten das Mißtrauen gegen die willkürlich gezogenen Grenzen zwischen Künsten, die sich der klassizistischen Ästhetik verdankten.

An den Arbeiten von Kubisch wird grundsätzlich deutlich, wie sich aus der Performance-Kunst die Gattung der Klanginstallation entwickelte, indem die vieldimensionalen Aktionen in einzelne Themen kondensiert wurden. Um 1980 vollzog sich bei Christina Kubisch der Wandel von der Perfomance zur Klanginstallation ("Ohne Titel'" 1981). Die Künstlerin zog sich als Akteurin zurück und trat diese Rolle gänzlich an das Publikum ab.




"UNBEKANNT"
Installation in der "Stadtgalerie",
Saarbrücken, D 1996



Interessant in diesem Kontext ist ein Bericht, den Christina Kubisch 1978 in Zeitschrift "Flash Art" geschrieben hat. Er verweist darauf, in welch hohem Maß sie sich bewußt Rechenschaft über ihr künstlerisches Tun ablegt. Sie begründet dort das Heraustreten des Künstlers aus dem Mittelpunkt des Geschehens damit, daß dieser Platz eigentlich dem Publikum gehört. Die kognitiv-rationale Durchdringung ihrer Arbeit, eigentlich eine Selbstreflexion, und die genaue Benennung, die typisch sind für Christina Kubisch, sind dabei allerdings oft verbunden mit einer Art von intuitivem Wissen, das formulierbar ist, aber erst dadurch reflektierbar wird. In diesem "Bericht" spricht Christina Kubisch wie nebenbei eine grundsätzlich neue ästhetische Idee an, nämlich Kunstäußerungen müßten dem Betrachter und Hörer "Eigenzeit" gewähren, indem sie ihn zum eigenen Agieren außerhalb eines festgefügten Ablaufs veranlassen. Die Möglichkeit dazu schuf sie mit der Gestaltung neuer Umgebungsräume, die vom Rezipienten, der sich darin bewegte, verlangen, ein Bezugssystem zu finden, mit dem nicht nur die Fremdheit des neugestalteten Ortes erfaßt wird, sondern auch der eigene Standpunkt. Der Rezipient im Hier und Jetzt und doch in einer fiktiven Welt muß auch die Koordination einer eigenen Position bestimmen.

Mit den Klanginstallationen wurde das vielgestaltige Thema "Raum" für Christina Kubisch zentral.

Es entstanden Räume und Landschaften, die mit Kabeln verspannt zu Klangbahnen, Wegen, Zelten, Flächen und Skulpturen wurden. Der Besucher konnte mit zwei würfelförmigen Empfangsgeräten die Klänge in den Kabeln (durch elektromagnetische Induktion) erlauschen und ihnen im Raum nachfolgen. Im "Magnetischen Wald" (1983) waren - gelbgrün der Umgebung angepaßt -. Elektrokabel zwischen Bäumen verspannt und um die Stämme gerankt. Je nachdem, wo man sich mit seinen Würfeln hinbewegte, trat man in einen anderen Naturraum: er rauschte und zwitscherte, als dialogisierte er mit den Menschen. Ab 1984 benutzte Kubisch Kopfhörer und ging 1987 zur Arbeit mit "offenen" Klängen aus Lautsprechern über.




"PRISON MEMORIES"
Installation in "Moore College of Art and Design",
Philadelphia, USA 1996



Ungewöhnliche Räume zogen vermehrt die Aufmerksamkeit von Christina Kubisch auf sich. Ein Bunker unter der U-Bahn (Planetarium 1987) oder eine unterirdisch angelegte Pferderemise (Kraterzonen 1988) wurden umgestaltet. Meist waren diese Räume stockdunkel, in ihnen leuchteten geheimnisvoll mit phosphoreszierendem Pigment überzogenene Kabel im Schwarzlicht, aus kleinen Lautsprechern raunten diese Stätten von ihrer Vergangenheit. Ultraschallklänge wurden dazu in den Hörbereich herabtransformiert. In "Nachzeit" (1990) waren in einem alten, halbverfallenen Kino (erbaut 1929 von Hans Poelzig) die Lautsprecher kreisförmig angeordnet in einer durch die fluoreszierenden Kabel nachgezeichneten Architektur. Die Lautsprecher gaben einzelne Klangkompositionen wieder, die sich zu absichtslos wirkenden Strukturen zusammenfügten. Fiktiv war die Welt, in die man eintrat. In ihr wurde zum Leuchten gebracht, was bei alltäglicher Wahrnehmung übersehen wird. Der Raum repräsentierte sich in den Klängen, die von den rundherum angebrachten Lautsprechern abgestrahlt wurden. Er schien sich im Hineinhören in diese Klänge auszudehnen. Was vordergründig wie eine Form repetitiver Musik wirkte, erwies sich bei größerer Aufmerksamkeit als ein vielfältig changierendes Frequenzgemisch mit einer sich dehnenden und zusammenziehenden, sich ständig ändernden rhythmischen Struktur. Ein Erkennen von Wiederholungen war unmöglich. Hören für den Augenblick wurde gefordert. Diese fiktive Welt, in die man eintrat, war aber immer auch situative Kunst, in der sich der konkrete Ort in einem unverwechselbaren Moment konkretisierte. Die Klänge kommunizierten manchmal mit dem Besucher, als wäre den Eigenschwingungen des Raumes eine Stimme verliehen. Daher ist der Besucher kein passiver Rezipient, der vis à vis eines Kunstwerks steht. Vielmehr steht und geht er mitten in einem Kunstwerk, das ihn zur Frage "wo bin ich?" veranlaßt. Subjektivität wird durch ästhetische Erfahrung vermittelt.




"ZWEI WÄNDE UND ACHT KLÄNGE"
Installation, "Sound Art 95",
Hannover, D 1995



"Zwei Wände und acht Klänge" war der schlichte, nüchterne Titel einer Installation von 1995, die eine alte, nicht mehr in Betrieb befindliche Eisfabrik betraf. Die Geschichte des Raumes war auch in seiner künstlerischen Transformation präsent. Durch Schwarzlicht waren die Spuren des Verfalls an den Wänden sichtbar gemacht. Auch in den kristallenen Tönen einer musealen Glasharmonika des 19. Jh. prägte sich etwas vom ursprünglichen Charakter der Eisfabrik aus. Der enge Abstand der Töne, die im Verhältnis einer kleinen Sekunde zueinanderstanden, verwebte sie ständig zu neuen Interferenzen, die dem Raum eine schwebende Atmosphäre liehen. Die fluoreszierenden Wände, die eingerahmt waren, leuchteten, als wären sie aus farbigem Licht geschaffen. Tachistische Malerei als Videokunst war eine der ersten Assoziationen, von der man gleichwohl wußte, daß sie falsch war. Dieser Raum verlangte eine Vertiefung des Besuchers in Licht und Klang, die zeitenthoben und ortsungebunden war. Ob man einen Weg der Künstlerin seit der "Nachzeit" von 1990 in seinen Formen der Imagination nachzeichnen soll, sei hier offengelassen. Aber kontemplative Formen der Wahrnehmung, in denen ein forschend-fragender Impuls weniger wichtig ist, scheinen mehr und mehr Bedeutung zu gewinnen.

Nicht nur die Idee fiktiver Räume, sondern auch die einer fiktiven Natur spielt fast durchgängig in den Arbeiten von Christina Kubisch eine große Rolle. Dies gilt nicht nur für die Installationen in Wäldern, Parks und Gärten, sondern auch für die Wiederholungsstrukturen ihrer akustischen Patterns, die wie natürliche Klänge wirken, und in jüngster Zeit zum Teil aus natürlichen Klängen gebildet werden. Die Übergänge zwischen Künstlichem und Natürlichem sind fließend. Die "Konferenz der Bäume" (1989) zeigt fünf reale Bonsai-Bäume auf einem Tisch, an deren raunender Konferenz man mittels eines Kopfhörers teilnehmen kann, indem man zugleich aus der realen Welt heraustritt. Wie Blüten aus dem Inneren eines Maische-Kessels einer Brauerei (Kreisläufe 1993) leuchteten pigmentierte Lautsprecher. Sie wurden von außerhalb angebrachten Solarzellen gesteuert. Der Klang veränderte sich mit dem Tages- und Nachtlicht. Wie bei der "Passage II" (1994) bedurften die künstlichen Blumen natürlichen Lichts, um ihre Sprache zu entfalten. Über die Passagen bemerkte Christina Kubisch, sie seien ein Lichtbild, das zugleich akustisch wahrnehmbar ist und an eine Zeichnung in einem Botanikbuch erinnert. Abbilder der Natur werden geschaffen, als existierten ihre Originale nur in der Phantasie. Für "Passagen III" (1995) wurden "natürliche" Klänge verwendet ohne jegliche elektronische Verfremdung. Diese Klänge (auf sechs Spuren) stammen von schwingendem Glas und lassen eine leuchtende Blume zerbrechlich erscheinen. Die fiktive Gestalt der Pflanze erscheint als Symbol der Natur, deren unmittelbare Wahrnehmung nicht (oder nicht mehr) möglich ist. Aber diese Natur erscheint durch Kunst immer noch imaginierbar. Viele Arbeiten von Christina Kubisch zeigen, daß das, was Menschen an ihrer Umgebung begreifen können, auch immer die Spuren ihres Eingriffs trägt.

Helga de la Motte-Haber



Biographie