Die Ästhetik im Zeitalter multimedialer Kommunikation

von Hartmut Wagner


Nach der Jahrhundertwende trat mit den italienischen Futuristen eine Kunstrichtung an die Öffentlichkeit, die in ihren Ausdrucksformen ganz und gar dem dynamischen Geist einer modernen Technik und urbanen Massengesellschaft verpflichtet war. Berauscht von der Geschwindigkeit der Metropolen erträumten sich die Künstler einen synthetischen Kosmos, eine um eine neue, eigene Schönheit reicher gewordene Welt-Fabrik. Ihre Kunst formulierte Hymnen auf eine heranbrechende "Ära der großen mechanischen Individualitäten".[1 Der denaturierte Kosmos verlange nach der denaturierten Persönlichkeit. Die Vision einer Verschmelzung des Menschen mit der Maschine, einer Symbiose zwischen künstlichem und natürlichen Körper sollte einer neuen Autonomie den Weg bahnen.

An der Schwelle zur Jahrtausendwende scheint diese futuristische Utopie kaum mehr als eine anachronistische Melancholie zu verströmen, bei näherer Beobachtung mag sie aber zugleich wie eine gespenstische Prophetie wirken. Die Ästhetik der Geschwindigkeit, der die futuristischen Manifeste huldigten, sieht sich mit einer technischen Realität konfrontiert, welche längst den Horizont des italienischen Futurismus überholt hat: Nach der Abschaffung des Raumes durch die distanzüberwindenden Maschinen, nach der Liquidierung der eingeübten Zeitkonstituanten durch die Lichtgeschwindigkeit der Bildschirmwelten, nach der Annulierung einer `objektiven' Realität durch die künstlichen Paradiese einer virtuellen Wirklichkeit und nach der Aufhebung der Unterteilung einer Innen- und einer Außenwelt, droht der Mensch zu einem bloßen, willenlosen Bestandteil eines in kybernetischen Netzen und Informationsfeldern gefangenen, digitalisierten Universums zu werden. Der französische Philosoph und Medientheoretiker Paul Virilio sieht gar die Epoche einer hybriden Maschine bevorstehen, welche die Kolonisation des Menschen durch die Technik gleichsam abschließe2.

Gegen diese düstere Vision einer allseitig technisch domestizierten Menschheit setzen die Protagonisten einer heranbrechenden universellen Informationsgesellschaft ihre konkrete Utopie eines sozialen, kulturellen und ökonomischen Quantensprungs, der die Entwicklung der Menschheit in eine Ära weltweiter Veränderungen mit einem Mehr an Kommunikation, an Wirtschaftlichkeit, an Überwindung von Entfremdung und an Wissen hineinkatapultieren werde, und der die obstruktive Phase einer auf die `Risikogesellschaft' (U. Beck) zentrierten Technologiekritik durch ein neues, technikzentriertes Gesellschaftsmodell ablösen werde.

Die Vision einer neuen Informationsgesellschaft scheint durch die Unüberschaubarkeit ihrer Wirkungen auf Lebenswelt und Kultur, durch die als Gefahr oder als Chance begriffene Möglichkeit einer Indienstnahme der innovationsorientierten Entwicklungsoptionen durch wirtschaftliche Interessen oder durch die Mystifikation oder Dämonisierung der Technik als solcher eine Vielzahl tief in der gesellschaftlichen Inhomogenität eingelassener, ambivalenter Gefühle zu mobilisieren, welche sich alle um die möglichen Konsequenzen einer technischen und gesellschaftlichen Epochenschwelle gruppieren, und welche zwischen zukunftstrunkenem Enthusiasmus, forsch akzeptierter, gegenwartsflüchtiger Ratlosigkeit und einer mephistophelisch angestrahlten, apokalyptischen Technologiekritik hin und her wogen: Was für die einen das faszinierende Szenario einer schönen, grenzenlosen Medienwelt ist, ist für die anderen die erschreckende Perspektive einer globalen Kommerzialisierung und Virtualisierung unserer Kommunikationsgefüges.]


1. Hoffnungen und Ängste: Neue Informationsinfrastrukturen und neue Märkte, das Geschäft mit der Täuschung und alte Abhängigkeiten

Die rein technologische Seite dieses Prozesses läßt sich knapp und emotionslos zusammenfassen. Auf der Ebene der medialen Inhalte verschmelzen bisher getrennte Trägermedien für akustische und visuelle Informationen. Die bisherigen `Monomedia', wie Buch und Hörfunk, und die `Duomedia', wie Fernsehen und Video, werden zu `Multimedia', die Bild, Bewegtbild, Text und Ton miteinander verknüpfen. Technische Innovationen in drei Bereichen machen diese Entwicklung möglich und charakterisieren gleichzeitig multimediale Informations-, Unterhaltungs- und Bildungsangebote: Datenkompression, Digitalisierung und in der Folge interaktiver Zugriff.

Im Kern geht es bei multimedialer Kommunikation um die Interaktion mit computerbasierten Anwendungen, in denen unterschiedliche Medientypen integriert werden. Technisch geht es um eine umfassende Digitalisierung. Gewinnung, Speicherung, Verarbeitung, Vermittlung, Verbreitung und Nutzung von Informationen und Wissen sowie interaktive Kommunikation werden in völlig neuen Dimensionen und mit großer Geschwindigkeit möglich.

Doch jenseits dieser kalten technischen Fakten beginnt ein scheinbar geheimnisvoller Kosmos, in dem Hoffnung und Furcht, Utopie und Phantasie nisten. Wie es scheint, taugt das neue Informationsnetz besonders gut als Projektionsfläche für Ängste, Wünsche und Visionen. Zwei konträre, konkurrierende Szenarien lassen sich dabei idealtypisch unterscheiden:

*Die Propheten der neuen Informationsgesellschaft sprechen von der dramatischsten Umwälzung der menschlichen Kultur seit der Erfindung des Buchdrucks. Sie prognostizieren das Heraufnahen einer neuen, weltweiten Kommunikationsgemeinschaft, gleichsam die Einlösung einer uralten, seit der griechischen und römischen Stoa in der Philosophie mit unterschiedlichen Konnotationen entwickelten Utopie einer friedlich kommunizierenden, den allseitigen Nutzen verfolgenden Weltgemeinschaft der Menschen als Vernunftwesen.

* Die Gegenposition verweist vor dem Hintergrund der einzig Fakten schaffenden, gewaltigen Investitionen der am Multimediamarkt um Anteile ringenden Kulturindustrien darauf, daß die hehren Prophetien einer künftigen, globalen Informationsgesellschaft nicht auf eine Liberalisierung der Märkte, nicht auf zunehmende Selbstverwirklichung des Menschen und auf eine Demokratisierung der Gesellschaft hinauslaufen, sondern die Gefahr einer massiven Übernahme lebenswichtiger gesellschaftlicher Funktionen durch einzelne, in strategischen Allianzen verbundene, weltmarktbeherrschende Medienagglomerationen heraufbeschwören.

[3 Hier drohten die Neuen Technologien zum Instrument eines weltumspannenden Totalitarismus' zu werden, der die Überprüfbarkeit, den Realitätsgehalt und die Authentizität von Informationen belanglos mache. Eine Welt, in der der Mensch sich seiner verloren gegangenen Individualität nie bewußt zu werden vermöge, eine Welt, in der Freiheit nicht vernunftgeleitete Autonomie bedeute, die der Mensch in Gemeinschaft mit Sich und Seinesgleichen zur Entfaltung bringe, sondern die in eine egozentrisch-erlebnisorientierte, aber bewußtseinslose Aktionsvielfalt münden werde.

Da es sich bei Multimedia vor allem um eine kapitalintensive Technologie handelt, muß man sich zunächst die wirtschaftlichen Fakten vergegenwärtigen: Markteinschätzungen zufolge erwirtschaften die Industrieländer in den kommunikationsorientierten Branchen bereits im Jahr 2ooo rasch wachsende Anteile des Bruttoinlandsprodukts. Der Anteil wird sich allein in den Ländern der Europäischen Union von derzeit 3% auf 6% verdoppeln. Weltweit geht man bis zur Jahrtausendwende gleichfalls beinahe von einer Verdoppelung des Volumens an Kommunikationsdienstleistungen und -technologien von derzeit ca. 8oo Mrd. DM auf über 1,5 Bill. DM aus. Wir sehen, hier entfaltet sich in der Tat ein gewaltiges Potential: Ein Kapitalpotential, ein Technologiepotential und ein Wissenspotential.

Von Francis Bacon stammt der in den Alltagssprachschatz eingegangene, plakative Satz: "Wissen ist Macht!" Bacon setzte damit den Rationalitätsanspruch der frühen Neuzeit gegen die theologischen Prävalenzansprüche einer in ihre Machtansprüche inkrustierte Kirche. Seine Welt war eine Welt geistiger Auseinandersetzungen an der Schwelle zur Moderne. In der aufkommenden Informationsgesellschaft verleiht allerdings nicht nur das Wissen die Macht, sondern vor allem die Verfügungsgewalt über die Produktion und die Verteilung von Information. Und dies in einem viel subtileren und gleichzeitig umfassenderen Sinne als nach der Marxschen Theorie von der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, denn die Macht der Neuen Medien gestattes eine weitreichende Beeinflussung von Meinungen, Weltanschauungen, Lebensstilen und letztlich auch von politischen Systemen.

Die Propagandisten der neuen Mediengesellschaft schwärmen davon, über die verstärkte Dezentralisation von Organisationen, über eine vollkommen flexibilisierte Arbeitszeit, über die Aktivierung enormer Rationalisierungspotentiale, über neue Ressourcensteuerungen und über die Möglichkeiten einer neuen internationalen Arbeitsteilung zu einer neuen Weltwirtschaft vorzustoßen.

Wie sich allerdings die neuen Technologien ins Alltagsleben, in der Arbeitswelt und im Freizeitbereich auswirken, ist mit den zweifelsohne verheißungsvollen ökonomischen Prospektionen noch lange nicht beantwortet. Man fürchtet zum einen einen tiefgreifenden, neuen Wandel der ohnehin in Bewegung befindlichen Sozialbeziehungen, Sozialmilieus und Gruppenzugehörigkeiten. Daraus hervorzugehen droht eine Segmentierung öffentlicher Meinungsbildungsprozesse, welche die soziale Homogenität noch weiter desintegriert, welche die ohnehin schon vorhandene `Zwei-Drittel-Gesellschaft'( J. Habermas) noch weiter in Richtung Individualismus und Hedonismus treibt, so daß Werten wie Solidarität, sozialer Gerechtigkeit, demokratischer Gleichheit keine soziale Bindungskraft mehr zukommen wird. Die Gesellschaft droht in eine über Lebensstile, Sozialprestige, informationelle Kompetenz und Einkommen definierte, tribalistische Gemeinschaft von Interessengruppen zu zerfallen. Darüberhinaus ist zu befürchten, daß sich diese Gesellschaft nicht nur weiter individualisieren wird, sondern daß sie zu einer doppelten Zweiklassengesellschaft mutieren wird: Vertikal hinsichtlich Alters, Technikakzeptanz und Benutzerkompetenz, horizontal hinsichtlich des Status und des Einkommens: Zu einer atomisierten Gesellschaft ohne ethische Basis, ohne verfassungsrechtlichen Konsensrahmen und ohne kulturelle Identität.]


2. Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Wer liefert nun das Orientierungswissen in der herannahenden Mediengesellschaft? Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann beschreibt die `Realität der Massenmedien' mit der so lakonischen wie schockierenden These, daß wir alles, was wir wissen, aus den Massenmedien wissen, und daß wir zwar auch um deren manipulativen Charakter wüßten, uns aber keine Alternative vorstellen könnten.

[4 Dieses Szenario erfährt nun seine Zuspitzung durch die Entwicklung der Medienkonzerne. In dem avanciertesten Land der Informations- und Kommunikationstechnologien, den U.S.A., drängen die großen Anbieter auf dem Feld der Kulturindustrie und Unterhaltungselektronik in die bislang von Computerindustrien dominierten Marktsegmente. Es zeichnet sich die Entwicklung riesiger Medienkonglomerate ab, welche eine allseitige Dominanz der unterschiedlichen Bilder- und Kommunikationswelten erwarten lassen. Eine universelle Präsenz der Medien über den Bildschirm, der heute schon Beruf und Unterhaltung dominiert, nährt die Bedenken, daß in einer restlos vernetzten Zukunft das Leben, die Arbeit, die Freizeit und die Dienstleistungen per Bildschirm stattfinden werden.

Daß damit Veränderungen in der Wahrnehmung der Menschen verbunden sind, liegt auf der Hand. Hatte der Buchdruck die Wahrnehmung und das Denken verschriftet, und an die Stelle multisensorieller Gleichzeitigkeit des Erlebens das Nacheinander der Erfahrungen und der Gedankenführung treten lassen, so lassen die neuen Medien zwar die alte Gleichzeitigkeit wiederentstehen, zugleich aber verändern sie das für die Wahrnehmung elementare Zeitbewußtsein ungeheuer. Die "global village" (Marshall McLuhan) zieht ins Arbeitszimmer: Die neuen Medien wandeln sich von Objekten der Außenwelt zu apparativen Schematismen unserer Weltorientierung.

Hatte Marx die Sinne noch als `soziale Organe' gekennzeichnet, so werden sie heute in die Maschine hineingeschreint. Die neuen Medien programmieren die Sinnlichkeit: Es findet ein synergetischer Zusammenhang von technischem Medium und Sinnen statt. Die Sichtbarkeit wird als Selektionsprodukt erkennbar.

Dies nährt die postmoderne Hoffnung auf eine Überwindung des rationalistischen Totalitätsanspruches der Moderne. So vertritt der Turiner Philosoph Gianni Vattimo5 die These, daß in dem von den neuen Medien herbeigeführten hochkomplexen `Chaos' unsere Hoffnungen auf Emanzipation liegen könnten. Das Fehlen von Transparenz in der Mediengesellschaft ist nach seiner Auffassung kein Phänomen, das es zu bekämpfen gelte, sondern im Gegenteil das Symp-tom einer Veränderung, die alle Daseinsbereiche beziehungsweise Lebensweisen betreffe und zur Befreiung der Minderheiten sowie zur Erschaffung eines neuen Bewußtseins führe. Das Leben der Menschen werde `un-heimlich', es gestalte sich ins Globale hinein, es verliere seine die Anschauungen prägenden Fixpunkte, wie Staat oder Nation, was zu einer prekären alltäglichen Erfahrung nötige, in der ästhetisch inspirierte Oszillation und Spiel zu ihrem Recht kämen. Vattimo schreibt: "Das Aufkommen der Medien umfaßt ... eine akzentuierte Mobilität und Oberflächlichkeit der Erfahrung, die mit den Tendenzen zur Verallgemeinerung der Herrschaft insofern kontrastiert, als sie eine Art `Schwächung' gerade des Realitätsbegriffs ermöglicht und folglich auch eine Schwächung all seiner Zwänge."6

Auch der Essener Philosoph und Medientheoretiker Norbert Bolz hebt das emanzipative Potential hervor, welches den neuen Medien innwohnen soll. Für ihn ist die Leistung der Sinne von der Leistung der Medien nicht mehr abzutrennen; er konstatiert einen synergistischen Zusammenhang. Die Tatsache, daß die neuen Medien in die Realität eindringen, sei eben gerade Realität, woraus wir, bevor dies zur Selbstverständlichkeit werde, doch immerhin lernen können, daß die Penetranz der Medien eben die Medialität der Sinne selbst verdeutliche.

Doch diese auf einen linearen technologischen Determinismus fixierte Position, mit ihrer zuweilen eschatologisch angestrahlten Rhetorik, vermag kaum zu überzeugen. Zum einen unterschlägt diese Sichtweise die Tatsache, daß die Hälfte der Menschheit wohl noch nie ein so archaisches Kommunikationsmittel wie einen Telefonhörer in der Hand hatte, so daß sich die Hoffnungen auf eine globale Kommunikation rasch als Entwicklungsperspektive für die Industrienationen entlarven, die den Unterschied zwischen reichen und armen Nationen weltweit noch entscheidend vertiefen und den insbesondere ressourcenorientierten Kolonialismus noch weiter forcieren wird. Zum anderen bergen die funktionellen Möglichkeiten der neuen Technologien durchaus Tendenzen zu einer Eigendynamik, welche tief in die Autonomie des Subjekts und die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft einzudringen droht.

Das Verhältnis Mensch-Maschine als eine Konstellation zwischen souveränem Benutzer und hochwirksamem Werkzeug ist nämlich nach Auffassung vieler Medienspezialisten so monokausal-linear gerade nicht. Einer der Pioniere des Internet Clifford Stoll weist auf den osmotisch wirkenden, `mentalen Imperialismus' der neuen Medien hin: "Der Gebrauch dieses Werkzeugs verändert unsere Verstandestätigkeit. Als Gutenberg die Buchdruckerkunst erfand, wandelte sich der vorherrschende Schreibstil. Das geschah aufs Neue mit der Verbreitung der Schreibmaschine. Auch der Telegraf veränderte die Literatur. Stop. Denken Sie an die Knappheit eines Hemingway. Textverarbeitungsprogramme wiederum verändern nicht nur das Wie, sondern auch das Was des Schreibens."7 Kurzum: Die Rückkoppelungseffekte auf die Art des Denkens und des Wahrnehmens werden umso größer, je komplexer der Einfluß der Technik auf die Verstandesleistung ist. Die Gefahr einer sinnlichen Entmündigung und artikulatorischen Präokkupation wächst mit der Fülle, der von der jeweiligen Maschine zu leistenden Operationen. Oder anders gewendet: Wenn das einzige Werkzeug, das man kennt, ein Hammer ist, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.

Bereits jetzt ist der Einfluß der technischen Medien evident. Nach einem Wort von Günther Anders ist die gesamte Welt zum Phantom, zur Matrize des Mediums geworden, zu einer gewaltigen Simulation. Die Welt der Worte und der Taten wurde zu einer Welt des Scheins. Eine solche Welt im Bild und als Bild droht nun vollends zur Verbiegung und Verbiederung der Wirklichkeit zu führen, zu einer Verniedlichung von Fakten, einer zwanghaft verlaufenden Harmonisierung von Widersprüchen, einer Nivellierung des Bedeutungsvollen, einer Abstumpfung gegen das Grauen, schlußendlich zu einer schamlosen Degradierung der Ereignisse. Paul Virilio führt in diesem Zusammenhang den Golf-Krieg an, der unter Anleitung amerikanischer Generäle im Fernsehen als eine Militär-Burleske inszeniert wurde, wobei über die Medien eine massensuggestiv-perfekte Militarisierung der Information und eine verniedlichende Ästhetisierung der Schrecken des Krieges betrieben wurde.

Die Tatsache, daß das Bild zunehmend die Schrift zu ersetzen droht, hat nicht nur die Gleichzeitigkeit verschiedener Wahrnehmungsvorgänge zur Folge; sie bedeutet auch eine zeitliche Beschleunigung von Wahrnehmungsvorgängen. Der Bildschirm wird zu etwas oder vielleicht gar zu allem, was man sofort vergißt, alles was blendet und fasziniert, was aber keine Spuren hinterläßt. Virilio behauptet, der Bildschirm transportiere das Vergessen, er sei das industrialisierte Vergessen, und wenn man sich die Nachwirkungen oder die politischen Halbwertzeiten katastrophaler Nachrichten vergegenwärtigt, dann scheint in der Tat eine Ära des Vergessens abgebrochen zu sein. Eine Ära, in der sich die Politik auf ein kurzlebiges, auf dem Fundament einer prinzipiellen Standpunktlosigkeit errichtetes Akzeptanzmanagement reduziert, in der das Ringen um Sachfragen hinter symbolisch vermittelter und insoweit besonders telegener Handlungsbereitschaft verschwindet, in der eine für die Demokratie lebenswichtige Streitkultur im Rauschen der Telekratie versinkt.]


3. Die Kunst im Zeitalter einer virtuellen Verfügbarkeit

Es besteht kein Zweifel: Das Ästhetische hat Konjunktur, anhaltend und auf durchaus widersprüchliche Weise. Das Ästhetische ist dabei zu einem Schlüsselphänomen unserer Kultur geworden. Nicht zuletzt durch die Revolution der Medientechnologien hat sich dieser Trend bis in viele Facetten des Alltagslebens hineinentwickelt. Wird die Kunst nun gleichsam zum Asyl einer dem Untergang im digitalen Zeitalter geweihten Form der Wahrnehmung, Artikulation und Kommunikation oder übernimmt Kunst die mediale Leitfunktion in einem neuen impressionsgesättigten Medienuniversum oder wird sie schlicht von den neuen Technologien absorbiert, gleichsam als Kompensationen schaffender Schaumteppich über der friktionsreichen, neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgebreitet?

Für den Theoretiker einer ans Ende angelangten Geschichte Jean Baudrillard ist ohnehin schon alles in einer die traditionellen Deutungen und Bedeutungen destruierenden, die Realität zum Verschwinden bringenden Welt der Bilder eingetaucht. Die Auflösung des Subjekts, die Implosion allen Sinns, die Überführung in eine universelle Indifferenz sind Ergebnisse einer Welt, in der alles Bild, aber eben nichts als Bild ist, in der die Kunst ihre Bedeutung verwirkt hat, in der bestenfalls noch eine irreduzible, subkulturelle Ästhetik der Leere ihre Präsenz zu behaupten vermag. Hier herrscht nur die unaufhörlich triste Verlängerung eines Status Quo, hinter dem sich keine politischen, ästhetischen oder gesellschaftlichen Horizonte mehr öffnen, hinter dem die Geschichte einfach vorbei ist.

Doch jenseits dieser, jede Form der Auseinandersetzung überflüssig machenden, paradoxal gegenwärtigen Apokalypse des Nichts begreift gerade das postmoderne Denken, die in den neuen Medien wurzelnden Potentiale als Chance und Herausforderung. Norbert Bolz sieht die Ära einer neuen Ästhetik heraufziehen. Er konstatiert einen Bruch im klassischen Verweisungszusammenhang zwischen Kunst und Ästhetik. Die seit Hegel und Kant akzentuierte Dialektik zwischen künstlerischer Produktion und ästhetischer Theorie ist für ihn obsolet. Mode, Reklame und Design hätten einen Transfer des Ästhetischen von der singulären künstlerischen Kreationssphäre in den Bereich industrieller Verwertung in Gang gesetzt. Dadurch orientiere sich für ihn Ästhetik nicht mehr an Kunst, sondern an Kommunikation. Damit sieht er einen Weg beschritten, der langfristig in einer Ästhetik als einer Theorie der medienvermittelten Wahrnehmung endet.

[8 In eine ähnliche Richtung argumentiert Wolfgang Welsch: "In der urbanen Umwelt meint Ästhetisierung das Vordringen des Schönen, Hübschen, Gestylten; in der Werbung und im Selbstverhalten meint sie das Vordringen von Inszenierung und Lifestyle; im Blick auf die technologische Bestimmung der objektiven Welt und die mediale Vermitteltheit der sozialen Welt hat `ästhetisch' vor allem die Bedeutung der Virtualisierung; und die Anästhetisierung des Bewußtseins schließlich bedeutet: wir sehen keine ersten und letzten Fundamente mehr, sondern Wirklichkeit nimmt für uns eine Verfassung an, wie wir sie bislang nur von der Kunst her kannten - Eine Verfassung des Produziertseins, der Veränderbarkeit, der Unverbindlichkeit, des Schwebens.(...) Ausschlaggebend für (die) Veränderung in der Kompetenz eines Denktypus -für die Verlagerung von einem logozentrischen zu einem ästhetischen Denken- ist die Veränderung der Wirklichkeit selbst. Heutige Wirklichkeit ist bereits wesentlich über Wahrnehmungsprozesse, vor allem über Prozesse medialer Wahrnehmung konstituiert." Zugespitzt formuliert: "Die Ontologie der Medien ist die Physik der Gesellschaft."9

In Ansehung der Entwicklungsgeschwindigkeit der neuen Medien schrumpft der Artikulationshorizont der Kunst möglicherweise auf lediglich zwei Optionen:

* Die Kunst kann sich in ihrem Selbstverständnis in die neuen Medien `hineinbegeben', wenn man so will sich ihnen ausliefern und zugleich sie von innen zu bestimmen versuchen, als eine Art Test- und Explorationsprogramm für die Facetten einer neuen `aisthesis', etwa als eine Schule der Bildersprachenedukation, als wahrnehmungsanleitendes Kontrastbild zur Umwelt oder als multimediales Gesamtkunstwerk, in dem das `Zusammenspiel der Sinne' technisch implementiert wird.10

*Die Kunst kann allerdings auch gegen die Schematisierung und Domestizierung sinnlicher Gewißheit durch die neuen Medien versuchen, die Wahrnehmung vom Prävalenzanspruch der Automation freizuhalten. Die Kunst als ein Asyl unverstellter, authentischer Wahrnehmung, welche der neuen Medienwelt eine "Ästhetik der Vorscheins" (E. Bloch) oder eine emanzipative "Ästhetik der Negativität" (T.W. Adorno) entgegenzuhalten versucht.

Mir erscheint die apodiktische Ausschließlichkeit, mit der insbesondere neuere ästhetische Medientheorien auftreten, insgesamt als wenig überzeugend. Statt auf das Nebeneinander medialer Entwicklungen, die häufig erstaunliche Resistenz älterer Medienformen und dabei auf eine durchaus fruchtbare Ungleichzeitigkeit zu rekurrieren, auf Brüche und Sackgassen zu achten, herrscht in ihnen der Glaube an eine Dominanz jeweils neuer Ensembles vor.

Welchen Weg die Kunst indes einzuschlagen bereit sein wird, ist von heute aus schwerlich prognostizierbar. Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei dem Prozeß der Selbstfindung in den Fährnissen der neuen Informationsgesellschaft wird dabei den künstlerischen Hochschulen zukommen. Dort wird das Fundament für das ästhetisch-gesellschaftliche Selbstverständnis und die künstlerische Orientierung gelegt. Dort findet sich eine Schnittstelle zur Zukunft von Kunst und Gesellschaft, zumindestens dann, wenn die Hochschulen ihre selbstgesetzten Ansprüche einzulösen bereit sind. In jedem Fall ist zu erwarten, daß die fundamentalen Kriterien von Kunst durch die neuen Medien in Bewegung geraten. Dies bedeutet neue Aufgaben für die künstlerischen Hochschulen.

Eines scheint in diesem Zusammenhang wahrscheinlich: Der Ansatz, der im Kunstschaffen einen elitären und singulären Akt einer sich in die Öffentlichkeit hinein dokumentierenden Kreativität, sieht sich durch die elektronischen Medien schweren Erschütterungen ausgesetzt.

George Maciunas, der Gründer und Motor der Fluxus-Bewegung, hatte im anonymen Kunstwerk als Massenware für jedermann sein eigentliches Ziel gesehen. Innerhalb des auf Autoren und Objekte fixierten System der Bildenden Kunst war dieser Gedanke notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Heute scheint sich diese heftig befehdete Vision als die Realität der Kunst des multimedialen Zeitalters abzuzeichnen zu beginnen. Die Grenzen zwischen Ästhetik und Anästhetik werden ebenso fließend wie diejenigen zwischen Autorenschaft und Anonymität.

Damit geraten allerdings auch einige der grundsätzlichen Paradigmen künstlerischer Ausbildung ins Wanken. Insbesondere die Distanz zu den Wissenschaften wird fraglich: Wenn die Kunsthochschulen den ästhetischen und gesellschaftlichen Implikationen der neuen Medien kritisch-offensiv gegenübertreten wollen, bedürfen sie des Dialogs mit den Sozialwissenschaften, mit der Philosophie und ihren Nachbardisziplinen, mit den Medien- und den Technikwissenschaften. An die Stelle einer ausgrenzenden, beide Bereiche abschottenden, von einer kultivierten Egomanie gekennzeichneten Meinungskultur sollte eine sowohl für die Wissenschaften wie für die Künste befruchtende, auf Austausch angelegte Argumentationskultur treten.

Darüber hinaus sieht sich das Postulat einer monadischen Künstlerexistenz, welche einzig im monologischen Prozeß künstlerischer Selbsterschaffung ihre kreative Entäußerung finden soll, von den technischen Entwicklungen in Frage gestellt. Die Flucht in die Maskerade der alten Sicherheiten erscheint vor den möglichen Folgen der neuen Technologien als ein Weg ins Abseits. So manch ein Propagandist einer neuen ästhetischen Ära beschwört schon das Ende der Malerei. Andere extrapolieren die Medienkunst schon in eine imaginäre Kunstgeschichte hinein: Auf traditionelle Techniken wie Radierung, Lithographie und Siebdruck folge eben jetzt nach Photographie und Video beispielsweise die Computergrafik.11

Es ist in jedem Falle vieles in Bewegung geraten. Möglicherweise müssen sich die ästhetische Theorie und die künstlerische Praxis ändern, wollen sie den Änderungsbedarf der Gesellschaft erkennen und auffangen, ansonsten drohen sie ins Antiquaritat der Industriegesellschaft einzugehen oder an der klinischen Kälte einer neuen Medienmacht zu zerschellen.]