GOTTESGARTEN, WELTENRAD UND UHRWERK

Leib und Seele gleichen zwei synchronisierten Uhren: Gottfried Wilhelm Leibniz

von Regine Kather


Etwa einhundert Jahre nach der Verbrennung Brunos auf dem Campo dei Fiori, dem "Feld der Blumen" in Rom, verbindet Gottfried Wilhelm Leibniz noch einmal die mechanistische und die organismische Sicht der Natur. Für den leidenschaftlichen Mathematiker und Naturwissenschaftler war dies ungleich schwerer als für Bruno. Unbezweifelbar war für Leibniz, daß die klassische Mechanik die Bewegung von Körpern im Raum korrekt beschreibt. Aber genügt das schon, um zu verstehen, daß es überhaupt Körper und Atome gibt?

Descartes charakterisierte den Stoff, aus dem Körper gebildet sind, durch Ausdehnung und Teilbarkeit; Newton wiederum sah die kleinsten Teilchen als "hart, unwandelbar, unteilbar, undurchdringlich und von Gott mit einem Schlage geschaffen". Leibniz wandte sich gegen beide: Würden diese Thesen stimmen, dann gäbe es in der materiellen Welt nichts anderes als eine Ansammlung einzelner Teilchen, die durch Druck, Zug oder Stoß zusammengepreßt werden. Als qualitätslosem Stoff fehlt der Materie jede Eigendynamik, um Körpern eine unverwechselbare Gestalt zu geben. Zwei Diamanten, die durch Druck zusammengepreßt werden, bilden keine Gestaltganzheit. Strenggenommen gäbe es nicht einmal Atome, die sich zusammenpressen lassen. Die innere Einheit lebender Organismen und ihre gesetzmäßige Entwicklung bliebe vollends ungeklärt. Schon die Materie muß also strukturiert sein.

Offensichtlich erfaßt die Physik nur eine Seite des Na-turgeschehens. Das, was die Einheit von Atomen bewirkt und die innere Entwicklung von Organismen steuert, sind Monaden. Monaden sind unteilbare und unausgedehnte Einheiten, geistige Kraftzentren, die die Welt wie in in einem Brennpunkt in sich versammeln. Sie sind lebendige Spiegel des Universums, das sie unter einer einmaligen Per-spektive darstellen. Zu jedem Körper, egal ob es sich um ein Atom, ein Tier oder den menschlichen Leib handelt, gehören Monaden.

Anders als für Platon, Hildegard von Bingen oder Bruno nehmen für Leibniz diese konzentrierten geistigen Kraft-quellen keinen Einfluß auf den Bewegungszustand der Kör-per. Wie sollte sich eine solche Einwirkung auch mit den Gesetzen der Physik, vor allem dem Energieerhaltungssatz, den Leibniz in einer ersten Fassung formulierte, vertragen?

Es gibt also nur eine Möglichkeit, die beiden unterschiedlichen Ordnungen der Wirklichkeit aufeinander zu beziehen: Gott muß das Universum von Anbeginn an so eingerichtet haben, daß die Bewegungen der Körper und die der Monaden einander zugeordnet sind, ohne sich zu beeinflussen. Die Körper bewegen sich nach den Gesetzen der klassischen Mechanik, während die Monaden nach der Entfaltung ihrer Möglichkeiten streben. Die zielgerichteten Vorgänge in den Monaden entsprechen exakt den mechanischen Abläufen der jeweiligen Körper. Die Metapher des Uhrwerks eignet sich in besonderem Maße, die Eigen-gesetzlichkeit und die Zuordnung von Seele und Körper, Geist und Materie zu veranschaulichen: "Man denke sich zwei Uhren, die mit einander vollkommen übereinstimmen. Das kann nun auf drei Weisen geschehen... erstens kann es auf einem wechselseitigen Einfluß beruhen, den (die Uhren) auf einander ausüben, zweitens darauf, daß beständig jemand auf sie achtgibt, drittens aber auf ihrer eignen Genauigkeit. Die erste Weise, d.h. die des Einflusses, hat der verstorbene H. Huyghens zu seiner großen Verwunderung kennen gelernt. Er hatte nämlich zwei große Pendeluhren an ein und demselben Stück Holz befestigt; die unaufhörlichen Schläge dieser beiden Uhren hatten nun den Holzteilchen ähnliche Schwingungen mitgeteilt; da jedoch diese verschiedenartigen Schwingungen nicht so recht in ihrer Ordnung und ohne wechselseitige Hem-mung fortbestehen konnten, wofern die Uhren sich nicht einander anpaßten, so kam es ...dahin, daß, wenn man... ihre Schläge mit Willen störte, sie doch bald wieder von neuem zusammenschlugen, ungefähr wie zwei Saiten, die auf denselben Ton gestimmt sind. Die zweite Art, zwei, wenngleich schlechte Uhren mit einander in übereinstimmung zu bringen, wird die sein, stets einen tüchtigen Handwerker anzustellen, der sie alle Augenblicke in übereinstimmung setzt. Dies nenne ich den Weg des äußeren Beistandes. Die dritte Art schließlich wird die sein, die beiden Uhren von Anfang an mit so großer Kunst und Geschicklichkeit anzufertigen, daß man in der Folge ihrer übereinstimmung sicher sein kann. Dies ist nun der Weg der prästablierten Harmonie. Man setze nunmehr die Seele und den Körper an Stelle dieser beiden Uhren... Es bleibt... nur... der Weg der prästabilierten Harmonie, der darauf hinausläuft, daß durch göttliche, vorausschauende Kunst von Anfang der Schöpfung an beide Substanzen in so vollkommener und geregelter Weise und mit so großer Genauigkeit gebildet worden sind, daß sie, indem sie nur ihren eigenen, in ihrem Wesen liegenden Gesetzen folgen, doch wechselseitig mit einander in Einklang stehen: genau so, als ob zwischen ihnen ein gegenseitiger Einfluß bestände".

Seele und Leib entsprechen zwei verschiedenen Uhren, deren Gang so reguliert ist, daß sie immer dieselbe Zeit anzeigen. Alle Gedanken, Gefühle, Wünsche und Leiden, die in der Seele vor sich gehen, haben im mechanischen Ge-schehen des Leibes eine exakte Entsprechung. Die bewuß-ten und unbewußten seelischen Prozesse, die sich nicht mechanisch darstellen lassen, werden von körperlichen Reak-tionen begleitet. Während sich der menschliche Leib nach mechanischen Gesetzen bewegt, folgt die Seele Zielen und Werten. Am Beispiel des menschlichen Willens veranschau-licht Leibniz die prästabilierte Zuordnung: "Übrigens bewegt sich meine Hand nicht, weil ich es will; denn ich mag immerhin wollen, daß sich ein Berg bewege, so wird dies, wenn ich nicht eine ganz wunderbare Glaubensstärke besitze, doch nicht geschehen. Denn ich könnte die Bewegung der Hand gar nicht mit Erfolg wollen, außer gerade in dem Augenblicke, in dem ihre Muskeln sich in der Weise spannen, wie es zu dieser Wirkung erforderlich ist, ein Zusammentref-fen, das nur deshalb möglich ist, weil meine seelischen Zustände mit den Bewegungen meines Körpers in Einklang stehen. Beide begleiten einander stets auf Grund der Entspre-chung...; aber jedes hat seine unmittelbare Ursache in sich."

Obwohl Leib und Seele ihren eigenen Gesetzen folgen, spiegeln beide dasselbe Universum. Die Seele stellt in sich das vor, was im Kör-per geschieht; der Körper wiederum ist mit allen ma-teriellen Ereignissen im Universum auf mehr oder weniger direkte Weise verbunden. Jeder Mensch hat einen unverwechselbaren Ort, von dem er das Weltgeschehen betrachtet. Er sieht das Universum unter einem nur ihm allein zugänglichen Blickwinkel. Das Univer-sum gleicht einer Stadt, die man von verschiedenen Seiten anschauen kann. Obwohl es immer dieselbe Stadt ist, ist sie für jeden Betrachter anders. Jeder sieht die Welt unter einer unverwechselbaren und einmaligen Perspektive, obwohl sich alle Menschen in einer Welt befinden. "Und wie eine und dieselbe Stadt, die von verschiedenen Seiten betrachtet wird, als eine ganz andere erscheint und gleichsam auf perspektivische Weise vervielfacht ist, so geschieht es in gleicher Weise, daß es durch die unendliche Vielheit der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Universen gibt, die jedoch nur die Perspektiven des einen einzigen gemäß den verschiedenen Gesichtspunkten jeder Monade sind."

Diese Weltstadt gleicht einem Uhrwerk, in dem Gott alle materiellen und geistigen Geschehnisse mit höchster Präzi-sion aufeinander abgestimmt hat. Gott gleicht einem Hand-werker, dessen Werk sich allerdings nicht nur durch technische Vollkommenheit auszeichnet. Für eine einfache Ma-schine genügt die Geschicklichkeit des Handwerkers; die Weltmaschine, die ungleich haltbarer und viel exakter ist als andere Maschinen, ist ein Zeichen der Macht und der Weisheit Gottes. Während andere Maschinen ständig nachreguliert und verbessert werden müssen, folgt die Weltuhr, einmal in Gang gesetzt, den Ge-setzen der Natur und des Geistes, die Gott geschaffen hat. Die All-gegenwart Gottes zeigt sich nicht darin, daß er die Dinge unaufhörlich bewegen müß-te. Er ist den Dingen nicht in ihrer Lage im Raum, sondern in ihrem Wesen gegenwärtig: "Ich sage nicht, die körperliche Welt sei eine Maschine oder ein Uhr-werk, das ohne Mitwirkung Gottes geht... Was ich behaupte ist, daß das Uhrwerk der Welt, ohne einer Nachbesserung zu bedürfen, fortgeht; man müßte sonst sagen, daß sich Gott eines Besseren besinnt. Gott hat alles vorhergesehen, er hat für alles im voraus Sorge getragen, in seinen Werken herrscht eine Harmonie, eine Schönheit, die schon zuvor bestimmt ist."

Die Weltstadt umschließt alle Lebewesen, Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen. Für Leibniz ist - anders als für Descartes - der menschliche Geist ein Glied in der Stufenordnung der Natur. Diese Stufenordnung baut sich kontinuierlich aus immer komplexer werdenden Zusam-menschlüssen einzelner Monaden auf. Verfolgt man diese Leiter vom Menschen bis zu den Atomen abwärts, dann nehmen Lebendigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit immer mehr ab, bis sie unsichtbar werden und in der undurchdringlichen Trägheit der Materie versinken. Unbelebte, belebte und sich ihrer selbst bewußte Wesen wie der Mensch unterscheiden sich nur im Grad der Klarheit, mit der sie sich und das Universum wahrnehmen. Tiere haben Emp-findungen und ein Gedächtnis, so daß sie aus Erfahrung lernen. Menschen leben, wenn sie bloß aus Erfah-rungen und Gewohnheiten handeln, wie Tiere; anders als Tiere können Menschen aber auch erkennen, was sie tun, sie können Argumente und Folgen abwägen und nach der Er-kenntnis Gottes streben. "Die Menschen stehen also mit den Tie-ren, die Tiere mit den Pflanzen, und diese wiederum mit den Fos-silien in nahem Zusammenhang, während diese letzteren ihrerseits wieder mit den Körpern, die uns in der sinnlichen Anschauung erscheinen, zusammenhängen. Das Gesetz der Kontinuität fordert, daß, wenn die wesentlichen Bestimmungsstücke eines Wesens sich denen eines anderen nähern, auch alle sonstigen Eigenschaften des ersteren sich stetig denen des letzteren nähern müssen. So bilden notwendig alle Ordnungen der natürlichen Wesen eine einzige Kette". Die Metapher von der "Kette der Wesen", die sich schon in der Antike findet, drückt den lückenlosen Zusammenhang von den Atomen bis zu den höchstentwickelten Lebewesen aus. Der Mensch befindet sich wie alle anderen Lebewesen inmitten der Welt, verbunden mit allen Geschehnissen des Universums, von denen ihm nur einige bewußt sind. Das, was er wahrnimmt, fühlt und erkennt, ist gebunden an den Facetten-reichtum des Universums.

Mechanistische und organistische Sicht, die Leibniz

noch verbunden hatte, treten in den folgenden drei Jahr-hunderten auseinander. Der Weg der Naturwissenschaft trennt sich von der Sicht der Dichter. Goethe sieht in einer Wendung gegen die klassische Mechanik die Natur als lebendiges Gewebe, das sich nicht in einzelne Teile zerlegen läßt. Der analytische Blick durch das Prisma, das das weiße Licht in das Farbspektrum aufspaltet, kann das Wesen des Lichts nicht erkennen. Alles Leben-dige wird durch den wirkenden Geist zu einer inneren Einheit verwoben. Nichts kann von seinem Zusammenspiel mit dem Ganzen abgetrennt werden.

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