GOTTESGARTEN, WELTENRAD UND UHRWERK

Gott als allgegenwärtiger Mittelpunkt des unendlichen Alls: Giordano Bruno

von Regine Kather


Es gibt in der Neuzeit allerdings auch Strömungen, in denen die Metaphern des Organismus und des Gartens weiterleben. Unterschwellig und zeitweise neben der etablierten Naturwissenschaft bilden sie eine Tradition, die nie müde wird, die einseitig mechanistische Auslegung der Welt zu korrigieren. Bruno und Leibniz, Whitehead oder von Weizsäcker entwickeln eine Sicht der Welt, die dem menschlichen Geist den ihm gebührenden Platz zuweist. Sie berücksichtigen nicht nur die objektivierbare Sicht der Natur und des Menschen, sondern auch die subjektive Seite des Erlebens. Erst aus ihrem Zusam-menspiel entsteht wieder ein Bild des Weltganzen, werden Metaphern wieder neu geprägt.

Als Kopernikus die Erde in Kreis-bahnen um die Sonne laufen ließ, stürzte er den Menschen aus dem Mittelpunkt des Alls. Doch das irdische Sonnensystem hatte noch eine herausragende Stellung unter allen anderen Sternen, die es umkreisten. Der Kosmos blieb eine endliche Kugel mit ei-nem festen Mittelpunkt. Kopernikus' Werk "De revolutionibus orbium coelestium - über die Umdrehungen der Himmelskörper", das 1543 erschien, leitete eine Entwicklung in der Natur-wissenschaft ein, die über Kepler und Galilei bis zu Newton verlief, der sie vollendete: Die Unterteilung der Welt in eine sublunare Sphäre, die von der Erde bis zum Mond reichte, und eine translunare Sphäre entfiel. Himmlische und irdische Welt folgten nun denselben Gesetzen. Das Gravitationsgesetz regiert die Bewegung der Erde um die Sonne ebenso wie den Fall eines Apfels auf die Erde.

Nicht nur Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud vertraten die These, daß die Dezentrierung der Erde und die Zerstörung des mittelalterlichen Kosmos, des Ordo, das menschliche Selbstwertgefühl schwer geschädigt hätten; daß es sich um eine narzißtische Kränkung und den Verlust von Geborgenheit und Sinn handle. Für Nietzsche stürzte der Mensch unaufhaltsam aus der Höhe seiner Gottähn-lichkeit ins Nichts: "Ist nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein Wille zur Selbstverkleinerung seit Koper-nikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangab-folge der Wesen ist dahin - er ist Tier geworden, Tier, ohne Gleichnis, Abzug und Vorbehalt, er, der in seinem früheren Glauben beinahe Gott... war... Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten - er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg - wohin? ins Nichts? ins 'durchbohrende Gefühl seines Nichts'?"

Doch entgegen Nietzsches Ansicht folgt aus der Ausweitung des Alls nicht schon der haltlose Absturz des Menschen ins Nichts. Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen von Ko-pernikus' Werk entwikkelte Giordano Bruno ei-nen weitaus radikaleren Ge-danken. Bruno greift das Ar-gument von Kopernikus für die Erdbewegung auf und vertieft es: Kopernikus hatte die Sonne in den Mittelpunkt der Welt versetzt, indem er die Bewegung der Sonne um die Er-de als Sinnestäuschung entlarvte. Was geschieht, fragt Bruno weiter, wenn man sich in eine Perspektive au-ßerhalb des Sonnensystems auf einen jener unzähligen Ster-ne versetzt? Ein Beobachter würde nun sich selbst als Mit-telpunkt der Welt sehen und den Eindruck haben, alle anderen Sonnen einschließlich des irdischen Sonnensystems würden um ihn kreisen. "So ist die Erde im Verhältnis zum All nicht mehr und nicht weniger Mittelpunkt, als jeder beliebige andere Weltkörper... Die Erde also befindet sich nicht absolut im Mittelpunkte des Weltraumes, sondern nur von ihrem Standpunkte aus mit Hinsicht auf diese unsre Umgebung... Alle Bewegungen also, die im Weltall stattfinden, haben an und für sich und mit Beziehung auf das Weltall selber weder ein Oben noch ein Unten, weder ein Hierhin noch ein Dorthin, sondern diese Raumbestimmungen ihrer Bewe-gung gelten nur in Beziehung auf bestimmte endliche Welt-körper, die im Weltenraume sind; - oder wenn man ihn auf die besonderen Horizonte all der unzähligen Weltkörper und Gestirne bezieht, so kann gar derselbe Gegenstand für verschiedene Beziehungspunkte sich gleichzeitig nach oben und nach unten bewegen, gleichzeitig steigen und fallen." Jede Blickrichtung zeigt das All unter einer anderen Perspektive. Nur für die Sinne bewegen sich die Sonne und die Gestirne um die Erde, so daß der Anschein entsteht, die Erde ruhe im Mittelpunkt der Welt. Dabei ist es gerade die Bewegung der Erde, die den Schein der täglichen Weltum-drehung hervorruft. Durch die Aus-weitung des Alls verliert nicht nur die Erde ihre Sonderstellung, sondern auch das Sonnensystem. Die uns vertraute Erde ist nur noch ein Planet unter vielen in einem unbegrenzten Raum; unsere Sonne ist nur noch eine unter unzähligen gleichartigen Sonnen. Das All erscheint als unbegrenzter und mittelpunktsloser Raum, erfüllt von einer Vielzahl von Planetensystemen, die alle denselben Gesetzen unterstehen.

Die Mittelpunktslosigkeit des Alls führt Bruno zu einer Formulierung der Relativbewegung aller Körper, die erst die Rela-tivitätstheorie einholen wird. Die kosmische Vision Brunos überschreitet allerdings die Naturwissenschaften des 20.Jahrhunderts. Bruno argumentiert gegen die theologischen Autoritäten seiner Zeit für die Grenzenlosigkeit und Mittelpunktslosigkeit des Alls mit Hilfe der Theologie. Nur ein unendliches Universum sei ein angemessener Spie-gel der schöpferischen Allmacht Gottes, während ein begrenztes, endliches Universum Gottes unwürdig sei. Da Gott nur das sein kann, was er schon ist, fallen bei ihm das, was er vermag und das, was er wirkt, zusammen. Wenn er ein unendliches All schaffen kann, dann muß er dies auch in Wirklichkeit tun: "Denn ich fordere ja nicht den unendlichen Raum... aus Hochachtung vor der bloßen Ausdeh-nung oder körperlichen Masse, sondern wegen der Existenz-würdigkeit der in ihm möglichen Naturen und körperlichen Arten, weil eben die unendliche Erhabenheit sich unvergleichlich besser in unzähligen Individuen darstellen muß, als in einer begrenzten Anzahl. Daher muß notwendig dem unzugänglichen göttlichen Angesicht auch ein unendliches Spiegel-bild entsprechen, in welchem sich unzählige Welten... befinden... Zur Aufnahme dieser unzähligen Weltkörper ist ein unendlicher Raum erforderlich... man darf doch nicht annehmen, der unendliche Schöpfer werde hinter seinem eignen Vermögen zurückbleiben".

Dennoch ist für Bruno die Welt nicht im selben Sinne unendlich wie Gott. Wäh-rend sich die Welt und alles in ihr erst allmählich entwickelt, ist Gott zeitlose Ge-genwärtigkeit. Er ist nicht erst hier und dann da; er ist nicht heute dies und morgen jenes, sondern wohnt je-dem Raum- und Zeit-punkt gleichermaßen in-ne. Trotz der räumlichen Mittelpunktslo-sigkeit und der Unend-lichkeit des Alls ist ein Punkt genauso unmittelbar zu Gott wie ein anderer. Gott, so lautet ein im späten Mittelalter vielzitierter Spruch, sei "der Kreis, dessen Mittelpunkt überall und dessen Umkreis nirgendwo sei". Die Welt gilt Bruno als Ausfaltung Gottes; aber Gott geht nicht völlig in der Welt auf, in der er sich selbst spiegelt: "Denn er ist das ganze All als Zusam-menfassender und als Ganzheit, das Welt-All dagegen ist Al-les... im Sinne der Entwicklung... Ich nenne das All als Gan-zes unendlich, weil es ohne Rand ist, keine Schranke, keine Oberfläche hat; ich sage aber: das All ist nicht absolut und völlig unendlich, weil jeder Teil, den wir von ihm erfassen können, begrenzt und jede einzelne der unzähligen Welten, die es in sich begreift, begrenzt ist".

Eine grenzenlose Weite, die die Sinne und das alltägliche Lebensgefühl nicht mehr erfassen, gehört nun zur Lebens-wirklichkeit. Die Verschiebung vom geozentrischen zum heliozentrischen und schließlich zum kosmischen Bewußt-sein verändert die Stellung des Menschen tiefgreifend. Trotz-dem löst für Bruno die Weite der kosmischen Räume kein Gefühl der Angst, der Verlorenheit oder der Geworfenheit aus, sondern Staunen, Begeisterung und Ehrfurcht über den unermeßlichen Reichtum der Welt. Der Mensch kann sich in ihr heimisch und geborgen fühlen, obwohl er seinen

räumlichen Mittelpunkt verloren hat. Die Allgegenwart Gottes ist das Ordnungsprinzip eines unendlichen Kosmos, der die wohlgefügte kosmische Ordnung des Mittelalters abgelöst hat.

Bruno, der einer der ersten war, der Koper-nikus' Thesen aufgriff, weist der mathematischen Physik kla-re Grenzen zu: Das eigentlich Lebendige, den wirken-den Geist, kann sie nicht erfassen. Körper werden nicht nur durch einen äu-ßeren Anstoß, durch Zwang, Druck und Stoß, bewegt; der göttliche Atem wohnt in den Dingen und verleiht ihnen ihre innere Gestalt und Energie: "In allen Dingen sind... zwei aktive Bewegungsprinzipien anzunehmen, ein endliches entsprechend dem Vermögen des endlichen Subjekts...; und ein andres unendliches, entsprechend dem Vermögen... der Gottheit, welche die Seele der Seele ist, welche ganz in allem ist und schafft, daß Seelen sind".

Materie und Geist sind für Bruno nicht voneinander zu trennen. Materie ist kein toter, passiver Stoff, sondern Energie, der die Fähigkeit, Formen auszubilden, innewohnt. Sie besitzt eine innere Dynamik, die sie antreibt, sich zu einer Vielfalt von Lebewesen zu organisieren. Diese schöpferische Kraft ist der Geist. Er gleicht einem Künstler, der die Materie von innen heraus formt und gestaltet, so daß die Mannigfaltigkeit der Lebewesen entsteht. "Ich sage also, dass der Tisch als Tisch, das Kleid als Kleid, das Leder als Leder, das Glas als Glas allerdings nicht belebt ist. Aber als natürliche und zusammengesetzte Dinge haben sie in sich Materie und Form. Das Ding sei nun so klein und winzig wie es wolle, es hat in sich einen Theil von geistiger Substanz, welche, wenn sie das Substrat dazu angethan findet, sich danach streckt, eine Pflanze, ein Thier zu werden, und sich zu einem beliebigen Körper organisirt, welcher gemeinhin beseelt genannt wird. Denn Geist findet sich in allen Dingen, und es ist auch nicht das kleinste Körperchen, welches nicht einen ausreichenden Antheil davon in sich fasste, um sich beleben zu können."

Wirklich sind nicht nur die sichtbaren Körper; wirklich ist vor allem die Kraft, die die sichtbaren Gestalten erzeugt. Es gibt nichts Totes im All, nichts gänzlich Unbelebtes, sondern nur eine beständige Umwandlung der Formen. Das Universum gleicht einem riesigen Organismus. Es befindet sich in stetem Wandel, in einem unaufhörlichem Auf- und Abbau, den Bruno mit ei-nem universalen Stoffwechsel vergleicht: "wie in einem Orga-nismus (findet) ein gewisser Kreis-lauf des Stoffes statt und allmählicher Wandel und Erneuerung." "Wenn ...diese Erde ...unveränderlich sein sollte, so wird sie das ...lediglich durch den Austausch solcher (Stoffe), die sie ausscheidet, und andrer, die an deren Stelle treten, in der Weise, daß bei derselben ...Organisation doch deren Stoff sich allmählich ändert und erneut, wie sich dies ja auch bei allen andern Körpern bestätigt, die sich auf keine andre Weise erhalten als durch Nahrungsmittel, die sie aufnehmen, und Ausscheidungen, die sie von sich entfernen. So wird jeder... wissen, daß man als Jüngling nicht mehr dasselbe Fleisch besitzt, welches man als Kind besaß, und im Alter nicht mehr dasselbe, welches man als Jüngling hatte... so bildet sich und wächst der Leib, solange der Zufluß der Atome größer ist als ihr Abfluß, und danach beharrt der Körper eine Weile in derselben Gestalt, solange Zufluß und Abfluß im Gleichgewicht bleiben, und schließlich gerät er in Verfall, wenn der Abfluß größer wird, als der Zufluß".

Wandel und Erneuerung greifen im Universum wie beim Stoffwechsel des Leibes ineinander. Wie ein Organismus sich selbst steuert und erhält, so regeneriert sich auch das Universum immer wieder von selbst. Die einzelnen Lebe-wesen verhalten sich wie die Teile eines Ganzen, das durch sie erst gebildet wird. Die Natur ist eine lebendige Einheit, in der jedes Lebewesen wertvoll und in das Ganze eingliedert ist. Obwohl das Leben sich in unterschiedlichen Ab-stufungen und Graden entfaltet, ist der göttliche Geist der allgegenwärtige Mittelpunkt. Nicht die Ausweitung des Alls und die Zerstörung des mittelalterlichen Ordo sind der Grund für das Gefühl der Heimatlosigkeit des Menschen; die Ursache für den Sturz des Menschen ins Nichts, von dem Nietzsche sprach, ist die Geist- und Leblosigkeit der Natur, ihre Deutung als Räderwerk einer perfekten Ma-schine.

Neben der Metapher des Organismus gewinnt in der Renaissance auch die des Gartens eine neue Dimension: Im Jahr 1580 wurde auf einem nördlichen Ausläufer des Cimino-Gebirges zwischen Rom und Orvieto eine ungewöhnliche Gartenanlage fertiggestellt: Der "heilige Wald" oder der "Park der Monster" bei Bomarzo unterschied sich von allen anderen Gartenanlagen der italienischen Renais-sance. Der Besucher des "Wäldchens" durchwandert in abruptem Wechsel eine Theaterbühne und ein schiefes, absturzgefährdetes Haus; er muß den aufgesperrten Rachen eines steinernen Ungeheuers betreten, um, wie aus dem Schlund des Todes, aus dem farblosen Dunkel der Nacht in die helle Sonne zu blicken; er begegnet einer exotischen Tierwelt: riesigen, fast lebendig wirkenden Schildkröten, kämpfenden Drachen, Löwen, Giganten, Sphingen, Göt-tern und Nymphen.

Vicino Orsini sah in seinem "Wäldchen" eine Gegenwelt zu der in politische Intrigen verflochtenen Atmosphäre der Paläste und Höfe. Das "Wäldchen" war allerdings mehr als ein epikureischer locus amoenus, eine Stätte der Freiheit von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen jeder Art. Er war nicht nur das Sinnbild für die Rückkehr des Menschen in einen befriedeten Naturzustand. Im "Wäld-chen" hausen schreckenerregende Dämonen und Giganten, die den irritierten Betrachter weitertreiben.

Die einzelnen Etappen des Weges führen durch verschiedene Ebenen der Wirklichkeit. Erfahrungen aus dem Reich von Traum und Tod, Okkultismus und unschuldigem Sin-nesgenuß verknüpfen sich mit der Sehnsucht nach einem sorglosen, heiteren Frieden. Irrfahrt und Läuterung, Schrek-ken und Erlösung sind miteinander verflochten. Im Ein-gang in die Unterwelt, wenn alle Gedanken verfliegen und die Welt gleichsam im Spiegel gesehen wird, im Schlaf oder Traum, löst sich der Mensch vom Bann der gewohnten Realität. Der Wald wird zu einer Stätte der Bewährung, in der der Wanderer sich vom trügerischen, blendenden Schein des "Welttheaters" befreit. Der Geist öffnet sich für höhere Wahrheiten, die im Getriebe des Alltags, im Streben nach Macht, Geltung und Einfluß verschüttet werden. Die einzelnen Etappen der Wanderung werden zu den Stationen eines Initiationsweges, die den Besucher läutern. Im "Wäldchen" hat Vicino Orsini seiner Einsicht Gestalt verliehen, daß die überwindung der gewohnten Weltsicht der Preis für den Einblick in die verborgenen Seiten des Lebens ist.

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